Vor über zehn Jahren wurden die Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses vom 24.02.2005 zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen (RbGeld / ABl.EU 2005 L 76/16) in das deutsche Recht umgesetzt.
Der deutsche Gesetzgeber ist hierbei (nicht zuletzt auf Initiative des ADAC hin) im Rahmen der Umsetzung in einigen Punkten über die EU-Vorgaben hinausgegangen, um wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (z. B. in Zusammenhang mit der Halterhaftung) Rechnung zu tragen.
Zwischenzeitlich haben alle EU-Mitgliedstaaten den RbGeld in das nationale Recht umgesetzt, so dass grundsätzlich Bußgelder aus allen EU-Staaten auch in Deutschland vollstreckt, d.h. zwangsweise eingetrieben werden können.
Der ADAC hat eine aktuelle FAQ erstellt, welche wir euch hier präsentieren dürfen.
Quelle ADAC e.V.
EU-weite Bußgeldvollstreckung - Die wichtigsten Fragen und Antworten
Wo finden sich die Vollstreckungsvorschriften?
Die Vorschriften zum Vollstreckungsverfahren sind im Gesetz über die internationale Rechts-hilfe in Strafsachen (IRG) enthalten, und zwar vorwiegend im (neuen) neunten Teil, §§ 86 ff. IRG (Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union).
Was wird vollstreckt?
Es werden von Gerichten oder Verwaltungsbehörden in anderen EU-Staaten rechtskräftig ver-hängte, strafgerichtlich überprüfbare Geldsanktionen vollstreckt. Der Begriff der Geldsanktion umfasst neben Geldbußen und Geldstrafen auch Verfahrenskosten.
Welche Behörde ist in Deutschland für die Vollstreckung zuständig?
Zentral zuständige Behörde für die Prüfung und die Durchführung der Vollstreckung ist in Deutschland das Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn.
Aus welchen Ländern wird vollstreckt? Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die Bußgeldvollstreckung?
In Deutschland können Geldsanktionen aus allen EU-Ländern vollstreckt werden. In der Praxis vollstrecken überwiegend niederländische Behörden konsequent Geldsanktionen aus Straßen-verkehrsverstößen in Deutschland. Mit Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und Ende der diesbezüglichen Übergangs-frist zum 31.12.2020 finden seit 1.1.2021 die Vollstreckungsregeln keine Anwendung mehr im Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU. Bis zum 31.12.2020 eingeleitete von eingelei-tete Vollstreckungsverfahren werden von den jeweiligen Vollstreckungsstaaten noch bearbeitet und erledigt. In der Praxis haben die britischen Behörden ohnehin nur in sehr wenigen Fällen von den Vollstreckungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht.
Können auch Bußgelder aus Nicht-EU-Ländern vollstreckt werden?
Nein. Bußgelder aus Nicht-EU-Ländern (z. B. Großbritannien, Liechtenstein, Norwegen, der Schweiz oder Serbien) sind von den Vollstreckungsregelungen nicht umfasst.
Ab welchem Betrag sind Bußgelder vollstreckbar? Sind hierbei Verfahrens- und Mahnkosten zu berücksichtigen?
Es werden Geldsanktionen ab einem Betrag von mindestens 70 Euro u. a. aus Straßenverkehrs-verstößen und Verstößen gegen Lenk- und Ruhezeiten vollstreckt.
Der Begriff der Geldsanktion umfasst sowohl das Bußgeld als auch die Verfahrenskosten, so dass der zu vollstreckende Betrag inklusive etwaiger Verfahrenskosten zu verstehen ist. Die Bagatellgrenze ist also z. B. auch dann erreicht, wenn die Geldbuße 50 Euro und die Verfahrens-kosten 25 Euro, also zusammen 75 Euro, betragen.
Wie läuft das Vollstreckungsverfahren ab?
Auf Ersuchen des EU-Mitgliedstaats, der eine nicht bezahlte Geldsanktion in Deutschland voll-strecken will, prüft das BfJ anhand der von der ausländischen Stelle vorgelegten Unterlagen die Zulässigkeit der Vollstreckung.
Erachtet das BfJ die Vollstreckung für zulässig, wird dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung innerhalb von zwei Wochen gegeben. Hier kann der Betroffene noch Einwendungen vorbringen. Anschließend entscheidet das BfJ über die Bewilligung der Vollstreckung und stellt diese Bewilligungsentscheidung dem Betroffenen zu (mit der Möglichkeit, dagegen Einspruch einzule-gen). Wird kein Einspruch eingelegt, ist die Entscheidung rechtskräftig. Erfolgt daraufhin keine fristgerechte Zahlung, wird vollstreckt.
Kann das BfJ das Vollstreckungshilfeersuchen ablehnen?
Das BfJ muss die Vollstreckung verweigern, wenn die Vollstreckung unzulässig ist oder Bewilligungshindernisse vorliegen. Dies ist u. a. dann der Fall,
- wenn der Mindestbetrag von 70 Euro nicht erreicht wird,
- wenn der Betroffene in einem schriftlichen Verfahren nicht über seine Rechte belehrt wurde. Dies ist z. B. bereits dann der Fall, wenn das Verfahren im Ausland in einer für den Betroffenen nicht verständlichen Sprache durchgeführt wurde.
- wenn ein deutscher Kfz-Halter zuvor im Ausland erfolglos Einspruch mit der Begründung eingelegt hat, nicht selbst der Fahrer gewesen zu sein (z.B. weil im betreffenden Land eine Halterhaftung besteht, wie z. B. in Frankreich, Italien oder den Niederlanden). Wichtig ist in diesem Fall, die entsprechenden Nachweise hierüber aufzubewahren!
Kann sich der Betroffene auch im Vollstreckungsverfahren gegen den ursprünglichen Tat-vorwurf der ausländischen Behörde wehren?
Nein. Einwände gegen den Tatvorwurf und die Ahndung können ausschließlich im Tatortland im Rahmen des dort vorgesehenen Rechtswegs vorgebracht werden (idealerweise mit Hilfe eines ADAC-Vertrauensanwalts vor Ort).
Zudem müssen die dort geltenden Rechtsbehelfsfristen eingehalten werden. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens durch das BfJ wird die materielle Rechtmäßigkeit der der Vollstre-ckung zugrundeliegenden Ahndung nicht mehr geprüft.
Kann sich der Betroffene gegen die Vollstreckung wehren?
Stellt das BfJ nach erster Prüfung des Vollstreckungshilfeersuchens keine Zulässigkeitshinder-nisse fest, wird dem Betroffenen vor Bewilligung der Vollstreckung eine zweiwöchige Anhörungsfrist eingeräumt (§ 87c Abs.1 IRG). Auch gegen den Bewilligungsbescheid kann Einspruch eingelegt werden (§ 87f Abs.4 IRG). Im Rahmen dieser Anhörung kann (und sollte) der Betroffene alle Tatsachen vortragen, aus denen sich ein Zulässigkeitshindernis ergibt, also z. B. das fehlende persönliche Verschulden oder Schriftstücke, aus denen hervorgeht, dass das Verfah-ren in einer für den Betroffenen unverständlichen Sprache geführt wurde (z. B. fremdsprachige Bußgeldbescheide).
Wichtig ist es deshalb, dass der Betroffene aus Beweisgründen den einschlägigen Schriftverkehr aufbewahrt.
Sofern ein Einwand nach ausländischem Recht aussichtslos ist (z. B. als Halter nicht der verantwortliche Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein in Ländern mit Halterhaftung wie beispielsweise den Niederlanden), ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene diesen bereits im Ausland erhoben hat. In diesem Fall ist es ausreichend, den Einwand („Ich bin zum Tatzeitpunkt nicht der Fahrer gewesen“) rechtzeitig gegenüber der deutschen Bewilligungsbehörde (BfJ) im Rahmen der o.g. Anhörung bzw. des Einspruchsverfahrens gegen den Bewilligungsbescheid geltend zu machen.
Wurde der mit Österreich bestehende Vollstreckungshilfevertrag mit Umsetzung des RbGeld hinfällig?
Der deutsch-österreichische Amts- und Rechtshilfevertrag in Verwaltungssachen von 1990 besteht weiterhin und darf neben den EU-Vollstreckungsregelungen angewendet werden. Nicht nur deswegen, sondern auch wegen der einfacheren, jahrelang geübten Handhabung und der Überweisung des Vollstreckungserlöses an den jeweils ersuchenden Staat, vollstrecken deshalb österreichische und deutsche Behörden nach wie vor vorzugsweise gegenseitig auf Grundlage des o.g. Amts- und Rechtshilfevertrags ab einem Mindestbetrag von 25 Euro.
Umfasst die Vollstreckung auch andere Sanktionen wie Führerscheinmaßnahmen?
Nein. Die Vollstreckung umfasst nur Geldsanktionen. Im Ausland verhängte Führerscheinmaßnahmen gelten grundsätzlich nur im Tatortland.
Gibt es für Verkehrsverstöße im Ausland auch Punkte in Flensburg?
Nein. Es werden nur Punkte für in Deutschland begangene Verkehrsverstöße ins Flensburger Verkehrszentralregister eingetragen.
Was droht bei Wiedereinreise ins Tatortland, wenn in Deutschland – aus welchem Grund auch immer – nicht vollstreckt wird?
Im Tatortland bleiben rechtskräftige Bußgeldbescheide und Gerichtsentscheidungen weiterhin vollstreckbar. Hier gibt es je nach Land unterschiedliche Verjährungsfristen (z. B. Niederlande 3 Jahre oder Italien: fünf Jahre). Zu einer Vollstreckung kann es dort z. B. im Rahmen einer Verkehrskontrolle in dem betreffenden Land kommen.
Können auch (deutsche oder ausländische) Inkassodienstleister künftig ausländische Bußgeldforderungen in Deutschland vollstrecken?
Nein. Die Vollstreckung obliegt in Deutschland ausschließlich dem BfJ. In der Praxis hat sich je-doch gezeigt, dass diverse private Inkassodienstleister in ihren Zahlungsaufforderungen unzulässigerweise auf die (für sie nicht gegebene) Vollstreckungsmöglichkeit nach dem RBGeld verweisen, um Betroffene zu einer zügigen Zahlung zu bewegen. Für den Betroffenen haben diese Drohungen jedoch keine rechtlichen Konsequenzen.